Nach dem Besuch beim Zahnarzt sagt man hinterher ja gern, es sei gar nicht so schlimm gewesen. Und als Erwachsener neigt man ebenfalls dazu, die Schulzeit zu verklären, kaum dass sie vorbei ist. Oft genug gibt es aber auch Fälle, wo man sich daran erinnert, dass die Lehrer auch mal ungerecht und die Schulaufgaben eine rechte Plackerei waren. Früher war nicht alles besser – man war nur jünger. Früher war auch nicht alles schlechter – sondern einfach anders, als es jetzt ist. 

Wie ist das wohl zu jenen Zeit en, als es auf dem Lande noch gültiger Usus ist, dass die Kinder neben der Schule in dem Stall und auf dem Feld der Eltern mitarbeiten? Manche gehen vor Schulbeginn noch beim Melken der Kühe zur Hand; manche sind gezwungen, unentschuldigt zu fehlen, was die Lehrer aufgrund der häuslichen Umstände dulden; die allermeisten müssen zur Ernte ohnehin die Schule unterbrechen, um tatkräftig mitzuhelfen. Dass die längsten Ferien des Schuljahres mitten im Sommer liegen, kommt nicht von ungefähr.

Nach heutigen Gesichtspunkten besonders interessant ist sicherlich der Umstand, dass in Buch am Erlbach 160 Jahre lang – von 1660 bis 1828 – das Schulhaus auch gleichzeitig Wohnhaus des Lehrers ist. Die Tür dem Klassenzimmer gegenüber führt ins Schlafzimmer der Lehrersfamilie, das Wohnzimmer ist zwischen Klassenzimmer und Küche eingekeilt – Home-Office in Reinkultur! Und weil der Lehrer in Personalunion bis ins Jahr 1920 jeweils auch der Mesner ist, nennt man das Schulhaus in der Kirchgasse 7 in Buch auch ‚Mesner-Gütl‘. 

Es sind die Mitglieder der Familie Leidl, die fast zwei Jahrhunderte lang, bis 1865 nämlich, quasi als lokale Dynastie das Lehrer- und Mesneramt wahrnehmen und im Schulhaus leben. Sehr praktisch für die Schüler, die sich so nicht ständig neue Namen merken müssen! Lehrer Leidl unterrichtet bis zu 120 Schüler im Klassenzimmer – stehend, denn der Platz ist zu knapp für Pulte und Stühle. 1828 wird dann ein neues Schulhaus gebaut, 1903 wird es nach modernen Gesichtspunkten umgebaut. Noch bis zum Jahr 1970 wohnen die jeweiligen Lehrer im Schulhaus. (Wäre das heute in einer Stadt wie Landshut oder München noch so, gäbe es keinen Lehrermangel!) 

Wie auch die Wohnsituation ändern sich die Unterrichtsmaterialien im Lauf der Zeit. Das Buch ‚Große Illustrierte Heiligenlegenden‘ von 1869 zeigt, dass Religion und Gelehrsamkeit auf dem Land in der Region Hand in Hand gehen – wie auch ‚Das Buch von Schöpfung bis zum Himmelreich‘, das um 1912 entsteht. Es ändern sich die Fächer – wenn man so will. Vielleicht aber auch nur die Kriterien, nach denen die Leistungen der Schüler wahrgenommen und abgefragt werden.

So werden auf dem ‚Entlaßschein‘ für Andreas Jahn, der von der ‚Königl. Local-Schul-Inspection‘ auf 1862 datiert ist, folgende Dinge bewertet: Geistesgaben, Fleiß, Sittlichkeit und Religion stehen da neben Lesen, Schreiben und Rechnen. Heute nicht mehr gebräuchlich sind die ‚gemeinnützigen Kenntnisse‘ sowie der Schulbesuch an sich. Andreas heimst in jeder Kategorie ein ’sehr gut‘, wenn nicht gar ein ‚vorzüglich‘ ein.

Im Zeugnis von Ursula Mißlinger um 1897 tauchen dagegen Zahlen als Bewertung auf. Ursula kann Andres durchaus das Wasser reichen, handelt es sich doch ausschließlich um die Ziffern 1 und 2. Ebenso wie auf den Entlassungszeugnis der Volks-Fortbildungsschule für Anna Kuttenlochner, das 1918 ausgestellt wird und für Religionslehre, Schaunterricht, Lesen, Aufsatz, Rechnen und Schönschreiben die besten Noten vergibt. Sollten tatsächlich alle Bucher Schülerinnen und Schüler so mustergültig sein? Oder bleiben, wie durch ein Wundern, nur die besonders guten Zeugnisse der Nachwelt erhalten? 

Eine handschriftliche Übersicht der Schülerzahlen der Jahre 1895 bis 1900 zeigt auf kariertem Papier, dass die bis zu 194 Schüler auf zwei Abteilungen verteilt werden. Andere Schriften dokumentieren, wie die Lehrer die Schülernamen, auf Sitzreihen verteilt, aufnotieren. Ob ein Diktat von 1931, wo viel in rot korrigiert ist, oder Schülermitschriebe in Naturkunde von 1963, wo die Notizen in solider Schreibschrift mit schönen Tierzeichnungen illustriert sind; ob Fotos von Schulklassen oder Pulten, Füllfeder und Tintenfässern; ob Aufnahmen vom Schulhaus oder Aufzeichnungen der Schulbesuche: Der Neue Geschichtsboden hat das alles erhalten.

Wie die Schüler die Schulzeit in Erinnerung haben, steht dagegen wieder auf einem anderen Blatt – und das ist das Einzige, das wir nicht in unseren Archiven haben. Es sei denn, die Menschen kommen und erzählen uns davon. Und wir versprechen, dass wir zuhören – und niemanden wie ein strenger Lehrer abkanzeln mit den Worten: „Setzen, sechs!“

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